Aus: Junge Welt Ausgabe vom 11.02.2023, Seite 8 / Ansichten

 

Appelle und Initiativen

 

Krise der Antikriegsbewegung

 

Von Nico Popp

 

 

Eine sozialistische Partei, die etwas taugt, wird in einer Situation, in der bürgerliche Staaten Krieg führen, auf ein Minimalprogramm bedacht sein, mit dem sie die Zwecke der »eigenen« Regierung bloßstellt und politisch bekämpft – ohne Rücksicht darauf, dass man sie nach allen Regeln der Kunst denunzieren wird. Karl Liebknecht wurde von deutschen Nationalisten als englischer Agent beschimpft, der liberale US-Präsident Woodrow Wilson nannte Eugene Debs einen »Verräter«, russische Vaterlandsverteidiger – darunter »Linke«, die sich bemühten, den Eindruck zu erwecken, ihre Parteinahme für das Staatsprogramm entspringe marxistischer Einsicht – erfanden die bis in die Gegenwart gerne erzählte Geschichte, Lenin habe im Sold »der Deutschen« gestanden.

Linke Kritik an Kriegen hat sich »im eigenen Land« (Liebknecht) zu bewähren – andernfalls ist sie keine, sondern verklausulierte Vaterlandsverteidigung. Es ist nun im Grunde nicht schwer, zu verstehen, dass die Zwecke des ukrainischen Nationalismus und der »westlichen« Einflusszonenarchitekten sich decken. Eine linke Antikriegsbewegung in den NATO-Ländern, die – anders als in der Ukraine – vorläufig noch alle Möglichkeiten der legalen Betätigung vorfindet, hat die Aufgabe, diese Interessen, für die seit einem Jahr jeden Tag Menschen in einem entsetzlichen Krieg sterben, in Wort und Tat anzugreifen.

 

Fragt man nun, was etwa die Partei Die Linke auf diesem Feld leistet, dann ist zu konstatieren: gar nichts. Die Bilanz der vergangenen Tage sieht so aus: Koparteichef Martin Schirdewan hat dem ukrainischen Präsidenten, der »die Bürgerinnen und Bürger der EU in einer emotionalen Rede im Europaparlament auf den gemeinsamen Kampf gegen Russland eingeschworen« (dpa) hat, die Hand gedrückt; der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow hat sich am Mittwoch mit dem ukrainischen Botschafter Olexij Makejew getroffen, der sich über das »tolle« Gespräch freute; die Linkspartei lässt zu, dass sich die AfD, die die Politik der Bundesregierung gegenüber Kiew und Moskau auf einer nationalistischen Linie kritisiert, mit einer »Friedensinitiative« in Szene setzt, während es die Linke-Führung bislang lediglich fertiggebracht hat, Sympathie für den Vermittlungsvorstoß des brasilianischen Präsidenten zu bekunden – unter Missfallensbekundungen aus jenem Teil der Partei, der, mal aus Kalkül, mal aus Verblödung, seit einem Jahr den blau-gelben Ersatznationalismus des deutschen Linksliberalismus mitmacht.

In diese Erstarrung grätscht nun einmal mehr Sahra Wagenknecht mit einem »Manifest für Frieden«. Der Aufruf vom Freitag ist auf unmittelbare Breitenwirkung berechnet und auch deshalb kein Dokument linker Analyse und Programmatik, zumal er als »Appell an unsere Regierung« daherkommt. Als Versuch, das Friedensthema nicht der AfD zu überlassen, ist er dennoch wertvoll. Man darf gespannt sein, wie Wagenknechts Partei damit umgeht.

 

 

 

 

 

 

LBH zum Krieg in der Ukraine

 

Dass Krieg schlecht ist, braucht nicht betont zu werden. Er bringt Leid und Elend sowie unzählige Opfer auf beiden Seiten mit sich. Erstes Opfer im Krieg ist die Wahrheit, heißt es .Allerdings sind einseitige Stellungnahmen – wie wir sie der Mainstreampresse täglich entnehmen können – sicher nicht hilfreich. Es ist in höchstem Maße unseriös, die Vorgeschichte des Krieges auszuklammern und Entrüstung zu heucheln.

 

Es ist nicht nachvollziehbar oder zumindest zu hoch gegriffen, von einer „faschistischen Regierungsclique“ in der Ukraine zu reden. Man kann die neofaschistischen Verbände wie die "Asow-Truppe", die mit SS-Symbolen und Hakenkreuzflagge aufgetreten sind, auch nicht mit der ukrainischen Bevölkerung gleichsetzen.

 

Allerdings hat dieser Krieg auch eine Vorgeschichte, die weitgehend ausgeblendet wird. Was ist denn aus dem Versprechen geworden, die NATO nicht nach Osten auszudehnen? Dass sich Russland eingekreist fühlt, ist nachvollziehbar. Zudem ist es unerträglich, wie sich der „Wertewesten“ als moralische Instanz aufspielt und meint, andere Staaten zurechtweisen zu können. Anscheinend ist es völlig normal, einer Führungsmacht sich untertänig zu erweisen, die je nach eigenem Bedarf andere Staaten in Klump und Asche bomben darf – und das alles unter dem Banner „westlicher Werte“, wie Afghanistan, Syrien, Irak, Libyen und nicht zuletzt Jugoslawien beweisen. Die Zerschlagung Jugoslawiens und die Errichtung der NATO-Kolonie Kosovo mit deutscher Beteiligung ist wahrscheinlich vergessen.

 

Natürlich ist das heutige Russland nicht mehr die Sowjetunion, es ist ein kapitalistisches Land und hat auch dementsprechende Interessen, was vom dominierenden US-Imperialismus nicht hingenommen wird. Dazu Putin selbst mit einer Äußerung zur „Dekommunisierung“: „Und jetzt haben ‚dankbare Nachkommen‘ Lenin-Denkmäler in der Ukraine abgerissen. … Sie wollen die Entkommunisierung? Nun, das passt uns ganz gut.“ Mit diesem Satz verhöhnte  Putin die Kiewer Junta und ihre Bandera-Nazis, die ihm wohl noch nicht genug Denkmäler für die Befreier abgerissen und Staatsbetriebe privatisiert haben. Raum für Sowjetnostalgie bleibt in Putins Russland nicht, wie unschwer zu erkennen ist.

 

Erschreckend ist auch die militaristische Besoffenheit der letzten Tage, wo selbst von Teilen einer dezimierten Friedensbewegung Waffenexporte begrüßt werden. Und die Rüstungsindustrie freut sich, die Aktien steigen. Der Rheinmetallkonzern hat dem Bund schon eine „Projektliste“ im Umfang von 42 Milliarden angeboten. . . .

 

Was könnte man mit den 100 Milliarden alles anfangen?

 

Für die LINKE ist dieser Krieg ein besonderes Problem. Sie stellt sich als einzige im Bundestag gegen die massiven Aufrüstungspläne. Doch in der Rede der Fraktionsvorsitzenden und den Erklärungen einzelner Abgeordneter am Montag zeigte sich, dass die Ablehnung deutscher Waffenlieferungen zur Zerreißprobe für die Linkspartei wird.

 

Nach der Sondersitzung veröffentlichten die Abgeordneten Wagenknecht, Dagdelen, Pellmann, Hunko, Nastic, Ernst und Leye eine Erklärung, in der sie die vom Bundestag beschlossene „Generalermächtigung für Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukraine, die Entsendung deutscher Truppen an die russische Grenze und Sanktionen“ verurteilten. Sie stellen fest, dass der von der Bundesregierung vorgeschlagene Beschluss „den Beginn einer erneuten massiven Aufrüstung bedeutet und er begründet die Strategie der Abschreckung mit Atomwaffen der NATO in Europa. Der Antrag bedeutet die kritiklose Übernahme der vor allem von den USA in den letzten Jahren betriebenen Politik, die für die entstandene Situation maßgebliche Mitverantwortung trägt“.                             Die Gruppe der Antimilitaristen aus der Linksfraktion kritisiert die beschlossene Aufrüstung und betont am Ende ihrer Erklärung: „Jetzt muss mit allen zur Verfügung stehenden diplomatischen Mitteln auf die russische Regierung eingewirkt werden, dass sie die internationalen Abkommen, Regelwerke und völkerrechtlich verbindlichen Verträge, die sie selbst unterschrieben hat und sich damit verpflichtet hat sie zu erfüllen, wieder beachtet und befolgt“. Voraussetzung dafür sei, „dass auch der Westen in Zukunft keine völkerrechtswidrigen Kriege mehr führt“, nicht weiter aufrüste und das Völkerrecht achte.                                                                                            Hier zeigt sich, worin wohl die größte Zäsur für die Linksfraktion droht: Dass die Grundfesten ihrer antimilitaristischen Haltung, die seit Jahren unter Beschuss und Kritik stehen, nun bei einem Teil ihrer Abgeordneten zur offenen Parteinahme für die NATO umschlägt. Gysi selbst hatte seiner Fraktion vor der Sondersitzung nahegelegt, den Regierungsantrag mit einzubringen und im Plenum dafür zu stimmen. Die Geschichte sozialdemokratischer Fraktionen spaltet sich historisch eben an der Frage der Ablehnung oder der Unterstützung der Kriegspolitik der Herrschenden. Es ist zu begrüßen, dass die Linksfraktion dem Vorschlag, den Regierungsantrag zu unterstützen, nicht gefolgt ist.

 

Thomas Dietzel

 

 

 

 

Zur Bundestagswahl 2021 (I)

 

Die Anzahl der Stimmen für die LINKE hat sich ungefähr halbiert, dies verlangt eine genaue Analyse, die mögliche Ursachen genau aufzeigt. Wir wollen im Linksbündnis dazu einen Meinungsaustausch anregen und bitten um eine rege Beteiligung.

 

Nicht wenige Mitglieder der Partei die LINKE sehen eine Ursache darin – so auch die Kommunistische Plattform (KPF) - dass es ein grundlegender Fehler war, – den Wahlkampf der LINKEN auf das Streben nach einer Regierungsbeteiligung im Bund festzulegen.

 

Während landesweit Mitglieder der Partei in ungezählten Gesprächen an Wahlständen, Haustüren und andernorts dafür kämpften, dass Menschen Die LINKE wählen, konnte man den Eindruck bekommen, dass sich führende Genossinnen und Genossen im Wahlkampf darauf konzentrierten, SPD und Grünen ja nicht zu nahe zu treten. Letzteres prägte wesentlich den Wahlkampf der Partei.

 

Das ging bisweilen auch soweit, deutlich zu machen, dass selbst solche Kompromisse möglich seien, die den Kern der Identität der LINKEN zerfräßen, was daher auch Glaubwürdigkeit kostete. Als Beispiel sei hier die Forderung von SPD und Grünen genannt, die mit niemandem koalieren würden, der den Austritt aus der NATO fordere. Die Beschlusslage zur NATO im Partei- und Wahlprogramm spielte hier leider keine Rolle.

 

Die Formulierung in beiden Programmen lautet gleichermaßen: »Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat.« „Hier wird ein Prozess gefordert, an dessen Ende ein neues europäisches Sicherheitssystem steht, das auch russischen Interessen Rechnung trägt. Da geht es um keinen definierten Zeitpunkt, sondern um ein strategisch-politisches Ziel, welches allerdings impliziert, dass unsere Partei die NATO ablehnt. Das unterscheidet sie fundamental von SPD und Grünen.“ (Zitat KPF)

 

Die Entwicklung minderte die Glaubwürdigkeit der LINKEN, wenn die LINKEN-Protagonisten ihre Bereitschaft dokumentierten, ihren Markenkern Friedenspartei aufzugeben. Das gilt auch für weitere Fragen, wie z.B. Soziales oder Umwelt. Konnte man wirklich glauben, mit SPD und Grünen könnten soziale Probleme gelöst werden, die von denen selbst verursacht worden sind: Stellvertretend sei die Hartz-IV-Politik benannt. Dadurch ging auch Glaubwürdigkeit bei denen verloren, die die LINKE bisher als ihre Interessenvertreterin im Kampf gegen Sozialabbau sahen.

 

Natürlich resultiert das Wahlergebnis aus vielen Faktoren. Auch innerparteiliche Konflikte trugen dazu bei.

 

Eins ist aber sicher: „Dieses Land braucht eine antikapitalistische Opposition – nicht zuletzt in den Parlamenten –, auch, damit es den Demagogen der AfD erschwert wird, sich als Vertreter der Bevölkerungsinteressen auszugeben. Würde Die LINKE scheitern, so wäre denen Tür und Tor geöffnet. Unsere Wahlergebnisse, besonders im Osten, sind hierfür ein beängstigendes Warnsignal.“ (zit. nach KPF)

 

 

 

Thomas Dietzel, Ernst Hümmer

 

 

 

 

 

 

Zur Bundestagswahl 2021 (II)

 

 

 

Für die Partei Die Linke ist die Bundestagswahl 2021 ein Debakel, das in den nächsten Tagen und Wochen zu diskutieren sein wird. Mit einem ohne jeden Rückhalt auf die »rot-grün-rote« Regierungsoption ausgerichteten Wahlkampf ist die Partei auf die harte Wand der wirklichen Welt geprallt. Die sieht mit Stand vom Montag so aus: „Das Zweitstimmenergebnis wurde im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 bei einer fast identischen Wahlbeteiligung von 76 Prozent beinahe halbiert. 2,27 Millionen Wählerstimmen (4,9 Prozent) stehen auf der Habenseite; 2017 waren es noch 4,29 Millionen (9,2 Prozent). Im Osten der Republik ist die Linke eine Zehn-Prozent-Partei mit – wie die desaströsen Ergebnisse in einstigen Hochburgen wie Brandenburg (8,5 Prozent) und Sachsen (9,3 Prozent) andeuten – weiter fallender Tendenz. Auch in Thüringen, wo sie vorläufig noch den Ministerpräsidenten stellt und die Landesparteispitze vor nicht allzu langer Zeit den Versuch unternommen hat, in den Mantel der »Volkspartei« zu schlüpfen, landete die Linke am Sonntag bei 11,4 Prozent und damit auf Platz 4 hinter AfD, SPD und CDU. Im Westen ist die Linke mit im Schnitt 3,6 Prozent weit weg von der 2017 sogar in Bayern übersprungenen Fünf-Prozent-Hürde. Auch in Hessen, dem Heimatbundesland von Koparteichefin Janine Wissler, blieb die Partei unter fünf Prozent; darüber lag sie nur in Bremen, Hamburg und dem Saarland – auch hier allerdings jeweils mit starken Einbußen. Der mitgliederstärkste Landesverband der Partei, Nordrhein-Westfalen, verlor mehr als die Hälfte der Stimmen von 2017 und landete bei 3,7 Prozent. Das bevölkerungsreichste Bundesland ist damit wieder linksparteiliche Diaspora. Unter dem Strich haben am Sonntag die Wähler in den beiden Berliner Wahlkreisen Treptow-Köpenick und Lichtenberg sowie im Wahlkreis Leipzig II die vollständige bundespolitische Bruchlandung der Linkspartei abgewendet. Mit den drei Direktmandaten von Gregor Gysi, Gesine Lötzsch und Sören Pellmann kann die Partei mit der Mandatszahl in den Bundestag einziehen, die ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht; auch der Fraktionsstatus bleibt erhalten, da die Partei fünf Prozent der Abgeordneten stellt. Wie dünn das Eis ist, auf dem diese Fraktion arbeiten wird, zeigt der exemplarische Blick nach Lichtenberg: Lötzsch erhielt hier 36.790 Stimmen, die zweitplazierte SPD-Kandidatin 28.031. Diese rund 8.000 Stimmen Differenz (in Leipzig waren es ebenfalls 8.000) haben die politische Ausschaltung der Linkspartei auf Bundesebene verhindert. Auch in diesen drei Wahlkreisen kam es im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 zu Stimmenverlusten, die nur deshalb nicht voll durchschlugen, weil die Kandidaten in den jeweiligen Wahlkreisen fest etabliert sind .“ (zit. nach N. Popp, jw vom 28.09.21)

 

Diese Entwicklung zeigt eine existenzbedrohende Entwicklung für die Linke. Sie muss mehr denn je darauf achten, dass sie Teil der gesellschaftlichen Kämpfe innerhalb und außerhalb des Parlaments ist und sein wird. Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, die nicht erneut angetreten war, sagte der Zeitung „junge welt“, sie habe »mit so einem desaströsen Ergebnis gerechnet«. Die »ganze Anbiederei an SPD und Grüne in den letzten Wochen« habe vor allem den Erfolg gehabt, dass die Menschen »lieber das sozialdemokratisch-grüne Original« gewählt haben. In der Debatte um Auslandseinsätze der Bundeswehr und die NATO hätten Teile der Partei- und Fraktionsführung schon vor der Wahl deutlich gemacht, dass »sie sich weder an das Grundsatz- noch das Wahlprogramm gebunden fühlen«. Das sei ein verheerendes Signal an die Kernwählerschaft gewesen.

 

Am Wochenende soll der Parteivorstand über das Wahlergebnis und über Konsequenzen beraten.

 

 

 

Manfred Landig

 

 

 

 

 

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Pressefreiheit unter Beschuss

 

Die junge Welt wird vom Verfassungsschutz als »Organisation« eingestuft und beobachtet. Redaktion und Verlag setzen sich dagegen zur Wehr

 

Von Stefan Huth

 

 

 

 

 

»Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie«, erklärte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) am Montag

 

Im aktuellen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird die junge Welt wie in jedem Jahr seit 2004 mit einem eigenen Beitrag erwähnt:

 

 

 

Zum Internationalen Tag der Pressefreiheit hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht die Arbeit unabhängiger Journalisten gelobt und ihnen mehr Schutz zugesagt. »Ohne freie Presse gibt es keine Demokratie«, sagte die SPD-Politikerin am Montag. Ob Russland, China oder Kuba: Geht es um vermeintliche oder tatsächliche Angriffe auf bürgerlich-demokratische Grundrechte in anderen Staaten, ist die Bundesregierung rasch mit Worten und Taten zur Stelle. Hierzulande gelten in dieser Frage offenbar andere Maßstäbe, wie Redaktion, Verlag und Genossenschaft der jungen Welt in den vergangenen Jahren erfahren mussten: Seit 2004 wird unser Blatt offiziell vom Inlandsgeheimdienst beobachtet und seither in den Jahresberichten des Bundesamts für Verfassungsschutz als einzige Tageszeitung mit einem eigenen Eintrag bedacht. Sie wird dort zudem als »Organisation« charakterisiert.

 

Das war von Anfang an mehr als nur ärgerlich, denn diese Feindmarkierung hat durchaus Folgen für die redaktionelle Arbeit – nicht zuletzt, weil sie die ökonomischen Grundlagen der Zeitung angreift, die ihr Erscheinen überhaupt ermöglichen. In der Ausgabe vom 13. März machten wir anhand einer Reihe konkreter Beispiele öffentlich, welche praktischen Konsequenzen der jungen Welt aus diesem Stigma erwachsen. So verweigerten Verkehrsbetriebe in Hamburg, Köln, Leipzig und Berlin das Aufhängen von jW-Plakaten mit dem Motiv unserer aktuellen Kampagne »Wer hat Angst vor wem?« Die Begründung lautete meist ähnlich wie in diesem Schreiben an den jW-Verlag: »Sowohl Kunde als auch Motiv entsprechen nicht unserer im Vertrag festgelegten politischen Neutralität.« Blieben die Formulierungen zumeist wie hier im Vagen, äußerte sich eine Druckerei im schwäbischen Esslingen expliziter. Sie verweigerte die bereits vertraglich vereinbarte Herstellung einer Publikation mit einer Begründung, die aufhorchen lässt: »Sie (haben) eine Anzeige für Tageszeitung junge Welt geschaltet, welche als solche im Verfassungsschutzbericht unter ›Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten‹ erwähnt wird. Dies widerspricht leider unserem Grundsatz, für Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht benannt sind, nicht zu drucken.«

 

Zahlreiche wettbewerbsrechtliche Behinderungen hatte es bereits zuvor gegeben. So versuchte eine große Supermarktkette die junge Welt mit Hinweis auf den VS-Bericht aus ihren Filialen zu verbannen, diverse Radiosender lehnen es aus gleichem Grund ab, bezahlte Radiospots auszusenden. Immer wieder wird uns gemeldet, dass in öffentlichen Bibliotheken beim Versuch, die Website der jW anzusteuern, eine »Forbidden«-Meldung auftaucht.

 

Redaktion und Verlag sehen in der Nennung der jW im VS-Bericht einen handfesten politischen Skandal. In einem offenen Brief vom 12. März schilderten sie anhand konkreter Beispiele den Sachverhalt und baten die Fraktionen aller im Bundestag vertretenen Parteien um die Beantwortung folgender Fragen: 1. Halten Sie dieses Vorgehen der Bundesbehörde gegen eine Tageszeitung mit dem im Grundgesetz verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit für vereinbar? 2. Halten Sie es für hinnehmbar, dass der Tageszeitung junge Welt die erwähnten wesentlichen Einschränkungen im Wettbewerb auferlegt werden, nur weil einem Amt die in der Zeitung vertretene Meinung nicht passt? 3. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie Ihre Fraktion in dieser Sache aktiv werden könnte?

 

Antworten erreichten uns von Bündnis 90/Die Grünen sowie von der Linksfraktion – alle anderen zogen es vor zu schweigen. Die medienpolitische Sprecherin der Grünen, Margit Stumpp, war auch bereit, jW ein Interview zu geben. Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, schrieben: »Die Pressefreiheit ist nicht nur ein verbrieftes Recht, sondern sie muss auch in der Praxis gelten, was ebenso für alle anderen Zeitungen gilt.« Sie kündigten an, dass ihre Fraktion in dieser Angelegenheit eine kleine Anfrage an die Bundesregierung stellen werde. Diese wurde, gezeichnet von 52 Linke-Abgeordneten, am 23. April mit der Drucksachennummer 19/28956 auf der Website des Bundestags veröffentlicht.

 

Es sind interessante Fragen, die in dem Papier aufgeworfen werden: Ist Berichterstattung auf marxistischer Grundlage verfassungsfeindlich? Ist es zulässig, mit Blick auf die hiesigen Verhältnisse von einer Klassengesellschaft zu sprechen und fundamentale Kapitalismuskritik zu äußern? Darf eine staatliche Behörde die politische Haltung einer Tageszeitung bewerten und so Einfluss auf deren Geschäftstätigkeit nehmen? Die Antworten sind überraschend und illustrieren eindrucksvoll, was die Bundesregierung tatsächlich von Pressefreiheit hält.

 

Wer hat Angst vor wem?

 

Diejenigen, die sich nicht scheuen, gegen Faschismus, Rassismus, Krieg und Ausbeutung einzutreten? Die dafür mit Verfolgung und Repression rechnen müssen? Oder diejenigen, die Verfassung und die herrschenden Verhältnisse »schützen«?

 

Für alle, die es wissen wollen: Die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) gratis kennenlernen. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.

 

Für ein Verbot der Parteien

NPD,

 "Die Rechte",

"Der Dritte Weg"!